Wall Street: Mixed Signals an der Wall Street (2024)

Eine Kolumne von Heike Buchter

In Erwartung einer Leitzinssenkung kaufen US-Investoren so ziemlich alles von Gold bis Krypto. Womöglich zu früh, warnen Experten.

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US-Notenbankchef Jay Powell verbreitete eigentlich nicht gerade Feiertagsstimmung.Bei der Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch nach der letzten Sitzung der Federal Reserve in diesem Jahr sprach Powell – silbernes Haar, gefurchte Stirn, strenge Lesebrille – von Unsicherheit und davon, dass es zu früh sei, den Sieg über die Inflation zu verkünden. Doch kaum hatte der Fed-Chef seine Papiere zusammengesucht und das Podium verlassen, begann ein Feuerwerk der Kurse an der Wall Street. Anleger kauften so gut wie alles. Tech-Aktien, Anleihen, Kryptowährungen, Gold. Powell hatte mit seinem Auftritt den Startschuss für dieEverything Rally gegeben. Der Dow Jones, in dem traditionell die mächtigsten Konzerne der US-Wirtschaft zusammengefasst werden, erreichte ein neues Allzeithoch, der breitere S&P-500-Börsenindex kam nahe an das Hoch, das er zuletzt Anfang 2022 markiert hatte, als die Erleichterung über ein Abflauen der Pandemie die Märkte getrieben hatte.

Rechtzeitig zu den Feiertagen hat die Fed der Wall Street die sprichwörtliche punchbowlgefüllt und ausgeschenkt. Mit dem berauschenden Gebräu vergleicht die Branche gerne sinkende Leitzinsen. Denn sinkende Leitzinsen bedeuten billigeres Geld für die Wall Street. Was wiederum die Investoren dazu bringt, ihr Geld statt auf dem Sparkonto beziehungsweise in Geldmarktfonds liegenzulassen etwa in riskantere Werte wie Aktien zu stecken, die eine höhere Rendite versprechen.Derzeit haben Investoren in ihren Fonds knapp sechs Billionen Dollar gebunkert.

DieEverything Rallydürfte länger anhalten, denn Powell und seine Fed-Kollegen ließen am Mittwoch durchblicken, dass die Notenbank in absehbarer Zeit die Zinsen wieder senken dürfte. Die Fed-Beobachter der Investmentbank Goldman Sachs erwarten einen Zinsschnitt schon im März kommenden Jahres. Das ist eine Überraschung, denn noch vor ein paar Wochen lautete die resignierte Erwartung der Investorenhigher for longer– höhere Zinsen auf längere Sicht. "Höher für länger ist tot", sagte Kristina Hooper, Chefstrategin für globale Märkte beim Fondsanbieter Invesco, der Financial Times. Powell habe vergangene Woche "die Grabinschrift dafür geschrieben".

Womöglich nur ein kurzes Zwischenspiel

Sollte die Fed tatsächlich die Leitzinsen im kommenden Jahr wieder senken, dann wären die höheren Zinsen für die Finanzmärkte nur ein kurzes Zwischenspiel gewesen. Die Fed hatte erst im März 2022 begonnen, die Leitzinsen anzuheben, in den Augen vieler Kritiker zu spät, um die anschwellende Inflation zu bekämpfen. Umso schneller zogen die Notenbanker in den folgenden Monaten die Zinsen nach oben – von nahe null Anfang vergangenen Jahres auf derzeit 5,25 bis 5,5 Prozent. Es waren die schnellsten Zinsanhebungen in Folge seit den Achtzigerjahren.

Die von den Finanzmärkten nun begeistert begrüßte Kehrtwende der Fed könnte allerdings eine Fehlinterpretation sein. Zumindest scheinen die Notenbanker selbst zu versuchen, die Begeisterung wieder zu dämpfen. So erklärte John Williams, Chef der New Yorker Notenbank, am Freitag, man habe keineswegs bereits über Zinssenkungen gesprochen.

Bis zu diesem letzten Treffen hat die Fed den Märkten immer wieder signalisiert, dass eine weitere Zinserhöhung auf dem Tisch liege. Viele Fed-Beobachter gingen davon aus, dass die Fed diese weitere Zinserhöhung in Aussicht stellte, um den Markt zu bremsen, der nach einem Grund für eine Rally suchte – eben diese Rally, die Powell und seine Kollegen dann am Mittwoch auslösten. Robert Brusca, Chefökonom von FAO Economics, einer New Yorker Investmentberatung, rätselt, was die Absicht der Notenbanker dabei war. "Es war, als ob Powell mit einem brennenden Streichholz mal einen Blick in den Tank werfen wollte." Auch David Rosenberg, ein unabhängiger Ökonom und langjähriger Fed-Beobachter, glaubt, dass die Fed-Oberen am Mittwoch missverständliche Signale gesendet haben. Die in Aussicht gestellten Zinssenkungen seien in Wirklichkeit eine Warnung an die Marktteilnehmer gewesen. "In den Aktienbewertungen ist überhaupt kein Rezessionsrisiko enthalten", sagte Rosenberg in einer Research-Note. Seiner Meinung nach sind die Aktienanleger viel zu optimistisch. Der Ökonom warnte auf X (früher Twitter), dass die Fed-Prognose eines langsameren Wachstums im nächsten Jahr impliziere, dass die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Rezession der US-Wirtschaft bei 90 Prozent liege. Derweilen bekommen die amerikanischen Verbraucher die schmerzhaften Folgen der höheren Preise und höherer Zinsen zu spüren. Viele kommen inzwischen nur noch über die Runden, indem sie für alltägliche Ausgaben wie Lebensmittel mit Kreditkarte bezahlen.

Viele Autobesitzer sind hoch verschuldet

Kreditkartenschulden haben mit über einer Billion Dollar einen neuen Rekord erreicht.Wegen der höheren Zinsen wird die Kartenzahlung teuer. Die durchschnittlichen Zinsen auf Kreditkartenschulden liegen derzeit bei 24,25 Prozent. Hohe Preise für Autos – gebraucht wie neu gekauft – bei gleichzeitig hohen Zinsen für Autokredite sorgen dafür, dass viele Autobesitzer den Banken mehr schulden, als ihr Fahrzeug wert ist. Im Schnitt übersteigen die Kredite inzwischen den Wert um 6.000 Dollar.

Die Zahl derer, die in Zahlungsverzug mit ihren monatlichen Raten sind, ist so hoch wie in drei Jahrzehnten nicht. Wer nicht mehr zahlt, dem droht der repo man– Schuldeneintreiber, die die Fahrzeuge dem Besitzer wegnehmen und den Kreditgebern zurückgeben. Das stellt für die Betroffenen eine existenzielle Bedrohung dar. Denn für die überwiegende Mehrheit der Amerikaner ist ein Auto unverzichtbar, nur so kommen sie zur Arbeit. Diese Alarmsignale ignorieren die Investoren in ihrem Zinssenkungsrausch. Auf eigene Gefahr.

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